Donnerstag, 25. September 2008

davor

Ich mag diese Geschichte nicht, die von meiner Jugend handelt. Im wesentlichen ist sie langweilig und langatmig, deprimierend und erbärmlich. Ich werde versuchen es kurz zu machen.
Ich weiß ein paar Sachen von meiner Grundschulzeit. Manchmal gab es Sprüche auf dem Klo oder in der Unterführung, die zu der Schule führten. Da stand dann sowas wie M.+ D. in einem Herz. Es kamen immer die gleichen Mädchen und Jungen aus meiner Klasse darin vor. Das waren die beliebten. Ich war nie dabei. Ich wollte es mir nicht anmerken lassen, aber ich wäre es gerne gewesen.
Später ging ich auf eine Mädchenschule. Ich interessierte mich nicht besonders für Jungs. Manchmal stellte ich mir vor, wie ich jemanden kennen lernen und ihn küssen würde. Ich lernte nie jemanden kennen.
Wir zogen um aufs Land, ich war 12 und ich hasste es. Erst wurde ich magersüchtig. Dann war ich nicht mehr magersüchtig, aber ich hasste es noch immer. Ich war nicht von da und außerdem war ich anders und das reichte, um nie wirklich Anschluss zu finden. Ich hatte eine Freundin, K. die auch nicht von da kam. Ich wäre gerne ausgegangen, sie ging nicht gerne aus. Dann kam sie mit einem Jungen aus unserer Klasse zusammen, den ich nicht ausstehen konnte. Damit hatte ich eigentlichn gar keine Freundin mehr. Am Anfang ging ich mit ein paar Mädchen aus meinem Dorf aus. Irgendwann hörte ich auf damit. Ich kam mir verloren vor und dachte, dass mir jeder ansähe, dass ich nicht dazu gehöre.
Ich war schlauer, als die meisten und das ließ ich heraushängen. Wirklich interessieren tat ich mich für keinen. Wenn ich mich für jemanden interessierte, wusste ich meistens nicht, wie ich an ihn herankommen sollte. Ich ging ja nicht aus. Und wunderte mich, dass nie etwas passierte. Dass ich nur von den falschen Jungs wahrgenommen wurde, von denen, die ich sowieso nicht wollte.
Ich hatte nicht viele Anforderungen, nur außerordentlich gut aussehend sollte er schon sein. Ich sah Pärchen und meisten widerte es mich an, ich fand es lächerlich und peinlich und ich wollte einfach nur und mit wachsender Verzweiflung, dass mich jemand küsst. Und Sex wollte ich. Mit 13 oder 14 war das ein vager Wunsch, ich dachte, klar, klingt cool, sieht cool aus, zumindest in den Filmen. Mit 15 fing auch mein Körper an, sich danach zu verzehren.
Mit 16 hatte ich dann den ersten Kuss. Er war lächerlich und nass. Ich dachte es läge an mir. Wir trafen uns nochmal, er war der Bruder von einem Klassenkameraden. Ich dachte, er sei attraktiv genug. Und ja, natürlich war er nett. So nett, dass es spontanen Brechreiz verursachte. Und zu allem übel mir vollkommen verfallen. Wir trafen uns also und später küssten wir uns, es war etwas besser, nur dass ich langsam annahm, dass es vielleicht doch nicht ausschließlich an mir liege.
Dann gingen wir zu ihm nach Hause. Wir sahen einen Film, irgendetwas romantisches, ich glaube es war "Save the last dance". Dann küssten wir uns und zogen uns langsam aus. Ich trug ein schwarzes Top mit Pailleten. Es war halbdunkel und wir küssten und ich sah an meinem Körper runter und vielleicht zum ersten Mal fühlte ich mich sexy und ein bisschen fühlte es sich an wie eine der Szenen aus "Don Juan". Wenige meiner sexuellen Erlebnisse waren mit einer solchen Extase und Wolllust verbunden wie dieses erste. Irgendwann waren unsere Oberkörper frei und er küsste mich überall und ich schloss die Augen und stellte mir vor, es sei ein hinreißend schöner Fremder in schwarzem Cape. Ich dachte, dass dies die verdammt beste Sache auf der Welt sei. Ich wollte sofort mit ihm schlafen. Ich wollte nicht, dass es aufhörte. Im Nachhinein denke ich, das wäre das beste gewesen. Es wäre sicher ein schönes erstes Mal geworden. So schön es eben sein kann, wenn es weh tut und ungewohnt ist. Und ich wäre den Druck weggeworden, der mich später fast in den Wahnsinn trieb. Er war zu nett, um von sich aus weiterzugehen. Ich dachte, das ist mein erstes Date, ich kann nicht beim ersten Mal schon mit ihm schlafen.
Er fuhr mich nach Hause. Im Auto war ich fast wahnsinnig vor Wolllust. Alles was ich dachte, war dass ich mehr davon wollte und mehr Typen. Später schrieb ich folgendes in mein Tagebuch: Stell dir einen Apfel vor. Du nimmt nur einen Bissen davon und dann merkst du, dass du ihn am liebsten ganz verschlingen würdest. Und nicht nur den, Du willst mehr Äpfel, größere, knackigere, saurere. Du weißt, dass die ganze Welt voll mit Äpfeln ist, die du alle probieren willst.
Heute bin ich froh, das geschrieben zu haben(auch wenn es ein paar stilistische Probleme gab). Ich hätte es sonst nicht geglaubt.
Wir trafen uns am nächsten Tag. Diesmal war ich vorbereitet. Ich hatte im Schrank meiner Mutter immer mal wieder interessante Dinge entdeckt. Kondome zum Beispiel. Ich nahm eins mit. Eigentlich war ich entschlossen mit ihm zu schlafen. Nur dass es nicht das gleiche war, die Gier war weg, diese grenzenlose, alles verschlingende Wolllust. Er fragte, ob ich es wirklich wolle. Ich sagte nein. Er schrieb mir kitschige Mails, dann fuhr er mit dem Fahrrad an meinem Haus vorbei und hinterließ einen Strauß Blumen. Ich schickte ihn in die Wüste. Es erschlug mich. Ich dachte, ich müsste kotzen. Ich wollte keine Liebe und Romantik und Hingabe. Ich wollte nur Sex.
Zwei Monate später ging ich aus mit unserem Aupair-Mädchen. Wir tanzten in einer leeren Disco. Ein Italiener und sein Freund kamen vorbei und kauften uns Drinks. Er war nicht toll, aber auch nicht schlecht genug, um ihn abweisen zu müssen. Er flüsterte mir ins Ohr, wie gern er mich küssen würde. Ich sagte, tus doch. Er schmeckte nach Kaugummi und bewegte die Zunge sehr schnell. Ich fand es seltsam. Dafür war es nicht nass und schmeckte nicht nach Schwefel. Ich sagte ich sei 16 und noch Jungfrau. Er sagte, das glaube ich nicht. Erregend fand er es trotzdem.Er griff mir in den Schritt. Ich fand es nicht angebracht, aber trotzdem sexy und ich stellte mir vor mit ihm nach Hause zu gehen und Sex zu haben.
Irgendwann standen wir herum und warteten auf sie. Unser Aupair R. sagte, lass uns abhauen. Ich dachte, gute Idee. Ich war zu nüchtern und leise meldetete sich die Vernunft. Dann kamen sie zurück und sagten, wir sollten ihnen folgen mit dem Auto. Sie fuhren mit ins raus, durch Dörfer, ins Nirgendswo. Ich dachte, was zum Teufel tun wir. Sie hielten an einer Wiese. R. ging mit dem anderen Typ raus. Ich saß mit dem Italiener vorne in unserem VW Bus. Wir küssten uns. Und dann hielt ich sein Glied in meiner Hand. Ich weiß, dass ich erleichtert war. Ich hatte mir davor versucht vorzustellen, wie es sich anfühlen würde und ästhetisch hatte ich Schwänze nie finden können. Jetzt merkte ich wie weich und warm er war. Er fragte, was ich fühle. Ich war ehrlich und sagte, nichts. Es war interessant auf eine Art wissenschaftliche Weise, aber ich hatte lange aufgehört ihn anziehend zu finden. Er wollte, dass ich die Hand bewege und ich tat es zaghaft und irgendwann fester. Er sagte, oh wow, du scheinst Gefallen zu finden. Das fand ich so bescheuert, dass ich sofort aufhören wollte. Er sagte, willst du, dass ich komme. Ich dachte, ich bin im Auto meiner Eltern. Will ich Sperma auf der Vorderbank im Auto meiner Eltern? Ich hörte auf. Er fragte, ob ich mal einen Blowjob ausprobieren wolle. Ich dachte, du Trottel. Dann ging er an mir runter. Ich dachte, na gut, wenn du unbedingt willst. Es erregte mich überhaupt nicht. Irgendwann kam er wieder hoch und dachte, er habe sich den Blowjob jetzt verdient. Ich war da anderer Meinung. Er fragte, ob ich denn ein Problem habe. Ich sagte, wenn ich eins gehabt hätte, hätte ich dich schon lange aus dem Auto geschmissen.
R. kam zurück und wir fuhren weg. Wollten wegfahren. Das Auto steckte in der Wiese fest. Irgendwann schafften wir es doch noch. Sie fühlte sich schlecht, fragte ob alles ok sei. Ich sagte ja. Es war alles ok. Mir fiel keine Geschichte ein, wieso das Auto völlig verschlammt war. Ich war nie eine große Lügnerin gewesen. Es kostetete zuviel Energie und Fantasie besaß ich auch nicht. Ich beließ es bei der Halbwahrheit. Mein Vater hakte nicht nach. Er meinte nur, dass man in Zeitungen ja nie verstehen könne, wieso diese Mädchen mit ihren späteren Mördern und Vergewaltigern mitgehen. Ich sagte nichts. Was hätte ich auch sagen sollen?
Ich ging nach Frankreich und verliebte mich. Als ich zurückkam nach Deutschland merkte ich es. Bei einem Klassenfest küsste meine Freundin mich. Es war vermutlich der schönste meines Lebens. Ich lag auf einem dunklen Sportplatz, sie kniete neben mir und über mir war der Sternenhimmel.
Später stellte ich mir vor eine Affäre mit ihr zu haben. Nur hatte ich nicht den Mut sie einzuleiten. Ich knutschte ein paar Mal auf Festen herum. Sonst passierte nichts. Zwei Jahre nichts. Ich dachte, dass ich innerlich zerreißen müsste, ich verging vor Wolllust und Unbefriedigtsein. Ich ging dazu über mich unattraktiv zu finden und wurde besessen von Scarlett Johansson. Wenn ich aussähe wie sie, dachte ich, würde ich alles kriegen, was ich wollte. Ich ertrug die Vorstellung nicht, dass die einzigen anderen, die keinen Sex hatten in meiner Stufe die hässlichen Loser, die Prüden und die unheimlich Religiösen seien. In meinem Kopf war ich eine Schlampe. Ich fand es unerträglich zugeben zu müssen, dass ich in Wahrheit unberührt sei, eine Jungfrau. Es war wie ein persönliches Versagen, der Beweis vielleicht, nicht gewollt zu sein. Ich konnte nicht reden mit meinen Freundinnnen. Ich fand es unerträglich so unerfahren zu sein. Alles brachte mich um.
Nach dem Abi befreundete ich mich enger mit ein paar Mädchen aus meiner Stufe. Ich fing an häufiger weg zu gehen. Ich verschoss mich in eines der Mädchen. Natürlich bekam ich sie nie. Einmal küsste ich fünf Leute an einem Abend. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl ein bisschen so zu sein, wie ich es im Innersten sein wollte.
Auf einem der Feste traf ich J. und er erlöste mich.

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